Vor kurzem erschien auf PLOS One ein Artikel, der objektiv untersuchen wollte, ob sich Microsoft Word (also eine Textverarbeitung) oder LaTeX besser zum
Verarbeiten wissenschaftlicher Artikel eignet. Der Artikel wurde bereits vielfach kritisch kommentiert, und auch ich will nicht verpassen, hier meinen Senf dazuzugeben.
Herangezogen wurden 40 Probanden, die gewohnheitsmäßig LaTeX oder Word zum Schreiben ihrer Artikel nutzen, jeweils nach »Neulingen« und »Experten« unterteilt. Vorgegeben waren ein einfacher Text,
eine komplexe Tabelle und ein Abschnitt mit viel Formel-Material. Die Probanden sollten dann diese Vorgabe jeweils mit Word/LaTeX setzen und es wurde untersucht, wie viele Fehler
(Rechtschreibfehler, Formatierungsfehler) dabei gemacht wurden bzw. welche Nutzergruppe in der gleichen Zeit »mehr Text« produziert hat.
An dieser Stelle ist bereits der erste methodische Fehler erkennbar. Denn da sowohl im Word als auch in einem beliebigen LaTeX-Editor die Texteingabe ohne Verzögerung beim Tippen der Taste
erscheint, ist es unerheblich zu untersuchen, ob mit Programm X oder Y mehr Text »generiert« wird; das hat letztlich nur mit der Tippfertigkeit der Probanden zu tun: Einer liest den Text und
tippt gleichzeitig mit 8 Fingern auf der Tastatur; ein anderer liest den Text, setzt ab und tippt dann aus dem Gedächtnis mit drei Fingern auf der Tastatur. Natürlich wird der erste in der
gleichen Zeit mehr Text »produzieren«. Auch die Anzahl der Rechtschreibfehler/Formatierungsfehler ist letztlich nur abhängig von der Sorgfalt des Anwenders beim Eintippen und nicht vom Programm.
Selbstverständlich muß LaTeX-Quellcode hin- und wieder mit Formatierungsbefehlen ausgestattet werden, sodaß der LaTeXer am Ende etwas mehr eingeben muß. Dafür muß der Word-Nutzer ggf. ständig von
der Tastatur zur Maus wechseln, um Formatierungsbuttons anzuklicken. Bei der Eingabe von Tabellen und Formeln muß sich der LaTeX-Anwender natürlich mehr konzentrieren, um etwa keine Klammern zu
vergessen. Ein Word-Nutzer wird dagegen eine Tabelle mit nur wenigen Mausklicks erstellt und gefüllt haben.
Wie auch immer, es wurde »festgestellt«, daß Word-Nutzer (Novizen und Experten) generell viel weniger Fehler machen und in der gleichen Zeit mehr Text produzieren konnten. Am Abschluß des
Artikels wurde geschlußfolgert, daß man den Wissenschaftlern die Nutzung von Word empfehlen kann, weil man damit »viel produktiver« sei. Gerade bei Projekten, die aus öffentlichen Mitteln
finanziert worden sind, sei der Wissenschaftler verpflichtet – so der Artikel weiter – möglichst viel Text zu generieren, um seiner Finanzierung gerecht zu werden. Offenbar sind die Verfasser des
Artikels der Meinung, daß »mehr Text« auch »bessere Wissenschaft« bedeute. Jeder, der wirklich schon einmal an einem Manuskript gesessen hat, kennt den Unterschied und weiß dagegen, daß kurzer,
wohlformulierter Text deutlich gehaltvoller sein kann als seitenweises Blabla. (Witzigerweise könnte der LaTeXer mit einer kurzen Befehlskette 100-mal den Blindtext-Befehl programmieren und würde
in nur drei Sekunden 50 Seiten Text erzeugen!)
Offenbar ist den Autoren entgangen, daß man TeX eigentlich aus ganz anderen Gründen nimmt. Nur um einige zu nennen: Das erheblich bessere Satz-Layout; die vielen Automatismen, die das Schreiben
erleichtern (Literaturverweise, Querverweise, Dokument-Strukturierung); der Programmstabilität auch bei umfangreichen Dokumenten; oder der externen Verlinkung von Grafiken außerhalb der
Manuskript-Datei. Ob ich da zum Eingeben einer Tabelle oder Formel hin und wieder 10 min länger brauche als der Word-Nutzer, kann mir da auch egal sein. Aus diesem Grund empfehle ich, daß die
Verfasser des Artikels ihren Test noch einmal machen sollten, und zwar mit einem 500 Seiten füllenden Text, 300 Literaturzitaten und 40 hochauflösenden Abbildungen.
Folgendes ist mir noch aufgefallen:
Einerseits werden die Autoren ihre Freude daran haben, daß ihr Wurst-Artikel so häufig zitiert und kommentiert werden wird. Andererseits hoffe ich auf kräftigen Verruf in ihrer Branche; manche haben ihn echt verdient.