Link zu Teil 2
Bei meiner Neugier auf Schriftarten und Textverarbeitung stoße ich in den Weiten des Internets immer wieder auf besonders aufstoßende »Empfehlungen für die richtige Schriftart« oder »10 Designtipps für ein professionelles Word-Dokument«. Dabei bezieht man sich nicht selten auf Abschlußarbeiten (Bachelor- und Masterarbeiten, oder sonst einen (laborativen) Bericht im studentischen Umfeld), man spricht also direkt Studenten oder Laien im Allgemeinen an. Gelegenheitsnutzer von Textverarbeitungen sind für derartige Botschaften empfänglich, denn (a) fehlt ihnen Zeit, Geduld und Geld, um sich tiefgründig mit Typographie und Drucklayout auseinanderzusetzen, und (b) wird ihnen suggeriert, daß ein überzeugendes Textprodukt weniger vom Inhalt als vom Aussehen abhinge. Tatsächlich bedingen beide einander, und können nicht zum Selbstzweck stehen oder wirken. Da die im Internet veröffentlichen Ansichten und Tips nicht selten Unfug sind, ist es also – leider – so, daß Unwissende mit Unwissenden kommunizieren.
Zur Suchmaschine meiner Wahl, dann Eingabe:
»12 Ways to Make Microsoft Word Documents Look Great«
»Designer Tips for Word«
»How to Make a Document Look Professional«
»Design Rules for Professional Word Documents«
… und man stößt auf einen endlosen Fundus »geheimer« Tips »professioneller Schreiber«, die der Normalnutzer angeblich nie entdeckt hätte. Nun soll er also davon profitieren, vom geheimen Wissen der Meister.
Erstaunlicherweise ähneln sich die Inhalte beinahe immer. Sie beschränken sich auf folgende Aussagen:
Das mag alles ganz hilfreich klingen, ist aber, bei genauer Betrachtung, fehlleitend, vieles geradezu einfältig. Falsch angewendet, kann man seinen Text damit ordentlich versauern. Der Grund sind nicht die Tips selbst, sondern ihre Beschränktheit: Es kommt immer auf die Textart an, den Leserkreis und die Möglichkeiten der Veröffentlichung (nur Bildschirm, Druck), und davon abhängig werden Schriftart, Zeilenabstand, Seitenränder usw. bestimmt. Pauschalregeln sind in der Welt guter Typographie selten!
Im Einzelnen:
Kann man machen, solange man bei MS Word oder LibreOffice Writer fündig wird. In 4 von 5 Fällen wird man das nicht. Dann muß man Layout- und Textformatierung selbst festlegen. Vorlagen und Themen sind etwas für Leute, die sich nicht ernsthaft mit Textverarbeitung auseinandersetzen wollen. Sie suchen den schnellen Design-Kick und wählen dazu aus den Klicki-Bunti-Vorlagen der Textverarbeitungsprogramme. Das geht schnell und einfach, und ist in den meisten Fällen unpassend.
Empfehlenswert ist es dagegen, bei Null zu starten, einem blanken Dokument. Dieses formatiert man nach eigenen Bedürfnissen (z.B. siehe hier) und speichert es als Nutzervorlage für die Zukunft ab.
Wow, das ist stets schnell erklärt: »Bei Serifenschriften haben die Buchstaben kleine Füßchen (die Serifen), und bei serifenlosen Schriften haben sie das nicht.« Sofort folgen die beiden bekannten Beispiele, für die meisten Computernutzer die einzigen bekannten beiden Schriftarten: Times New Roman und Arial. Eine Serifenschrift möge man bei längeren Texten nutzen, aber bitte nicht bei reinen Bildschirmtexten, sondern für Drucksachen; und die serifenlose Schrift ist die Richtige, wenn um reine Bildschirm-Produkte geht (Vortragsfolien oder rein am Computer gelesene Texte). Klingt einfach, oder?
— Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll oder was mich am meisten ärgert: daß verkündet wird, es gebe nur Serifenschriften und serifenlose Schriften – und sonst nichts? Oder daß man sich immer auf die üblichen Verdächtigen (Times und Arial) versteift? Das einzig Richtige an Hinweisen dieser Art ist wohl, daß man bei längeren Texten in der Tat eine Serifenschrift einsetzen sollte, denn sie führt das Auge von Wort zu Wort und läßt es weniger ermüden. Texte in einer rein serifenlosen Schrift sind auf Dauer anstrengend, und das kann man glauben. (Aus diesem Grund sind auch alle Taschenbuchromane in einer Serifenschrift gedruckt.)
Wo sind die Hinweise auf gebrochene oder halbgebrochene Schriften? Auf Schreibschriften? Auf dicktengleiche (nichtproportionale, Monospace) Schriften? Und alle Antiqua-Varianten, die man sonst dazwischen kennt?
Weshalb wird nicht erläutert, daß es neben einer Times noch hundert andere Antiqua-Leseschriften gibt, die einer Times sogar überlegen sind?
Weshalb wird nicht erläutert, daß eine Schriftart auch immer zum Inhalt passen muß? Daß man also für das Setzen von Texten der deutschen Romantik durchaus keine Fraktur verschmähen sollte? Daß man vor dem Setzen des Inhalts prüfen sollte, ob die Schriftart alle notwendigen Sonderzeichen enthält? Daß es bestimmte serifenlose Schriften gibt, die sich durchaus auch für längere Lesetexte eignen?
Eifrig werden meist auch nur Schriftarten empfohlen, die auf jedem Windows-Gerät vorinstalliert sind, so als wollte man Werbung betreiben. Schriftartenwechsel? Gerne! Aber dann bitte über den Tellerrand hinaus.
Himmel hilf! Die ganz Schlauen raten dazu, den Zeilenabstand aus Gründen der Lesbarkeit anzupassen. Dies geschieht auf Gutdünken und endet in einem Anderthalb- oder Doppelten-Zeilenabstand-Fiasko.
Tatsächlich richtet sich der geeignete Zeilenabstand (Durchschuß) nach der verwendeten Kegelhöhe der Buchstaben (heute im allgemeinen Schriftgröße genannt), deren Breite und Schrifthabitus (Stilrichtung). Je kleiner die Schriftart, desto größer der Zeilenabstand und umgekehrt. Der Zeilenabstand wird daher meist nach Augenmaß angepaßt; man bedient sich nicht fixer Vorgaben, etwa »doppelt«. Doppelter Zeilenabstand ist für Lesetexte sowieso unsinnig, bestenfalls zum Anbringen von Korrekturen (dazu weiter unten, »zweite Fundgrube«). Meist liegen die besten Werte zwischen den fixen Vorgaben. Anhand von Testdrucken habe ich für einige gängige Schriftarten gut geeignete Zeilenabstände ermittelt (siehe Top-10-Liste): Eine Libertinus Serif läßt sich am besten lesen in 11 pt bei 115 % (100 % = einzeilig); eine Cormorant Garamond wirkt am besten in 12 pt bei 110 %.
Zum »Absatzabstand« läßt sich bemerken, daß jedwede Andersbehandlung eines Absatzblockes gegenüber dem gewöhnlichen Zeilenlauf zu einer Störung des Grauwerts einer Seite führt. Das geht einher mit einer typographischen Katastrophe. Typographie bedeutete immer Dienst am Leser, und im Idealfall wird dazu ein möglichst gleicher Grauwert angestrebt.
Der Rat lautet meist: »Nutze eine Schriftgröße zwischen 11 und 14, aber nie kleiner als 10«.
Mein Kommentar Nr. 1: Die zu verwendende Schriftgröße ist abhängig von der Schriftart, der Textart und dem Zielpublikum. Manche Schriftarten lassen sich (gedruckt) in einer 11 pt besser lesen als in 12 pt, bei anderen ist es umgedreht. Das muß man durch Probedrucke ausprobieren; es gibt keine Pauschalempfehlung dazu (siehe auch hier).
Weiterhin muß die Schriftgröße entsprechend der Textart gewählt sein: Wo es auf kompressen Satz (Informationsverdichtung) ankommt, darf eine kleinere Schriftart verwendet werden, um die Mehrbändigkeit zu vermeiden. Im Beispiel: Die Bibel in einem Band verkauft sich besser als in drei Bänden. Gleiches gilt für juristische Texte oder die Herausgabe der gesammelten Werke eines Schriftstellers u.ä. Textsorten. Vielleicht gibt es auch feste Rahmenvorgaben, etwa das Unterbringen einer Textmenge X auf genau einer halben A4-Seite (reservierter Platz in einer Zeitschrift, Anzeigenseite).
Auch das Zielpublikum ist entscheidend: Erstlesern und Leseanfängern ist mit einer Schriftgröße nicht unter 14 pt geholfen, während erfahrene Schnelleser (Erwachsene) auch mit einem Text in 10 pt meist keine Probleme haben werden.
Mein Kommentar Nr. 2: Die »richtige Schriftgröße« ist bei rein digitalen Texten ohnehin überbewertet. Das magische Wort lautet »Zoom«, das gibt es in den meisten Programmen.
Der nächste Fall, wo man nicht pauschal agieren kann. Seitenränder sind auch hier abhängig von der Textart und dem Ziel der Veröffentlichung: Geht es um Taschenbuchausgaben, dürfen Seitenränder schmal sein; und breit, wenn man durch ein Buch über Gemälde blättert (Seitenränder dienen stets der Konzentration auf den Inhalt, d.h. die Umgebung soll »ausgeblendet« werden).
Für Seitenränder und Satzspiegel gibt es verschiedene Berechnungsmethoden (siehe Link), besonders harmonisch wirken ganzzahlige oder auf dem Goldenen Schnitt basierende Verhältnisse (z.B. 2:3:4:6 bei doppelseitigen Drucken). Die Verhältnisse und Notwendigkeiten mögen sich mit der verbreiteten Nutzung von Textverarbeitungssoftware zwar geändert haben, sollten aber dennoch ausgeglichen wirken: Ein Buch (ja, ein richtiges Buch) hat aufgeschlagen nun einmal zwei Seiten, daran führt kein Weg vorbei. Darum sind hier besondere Umstände zu beachten: Der Rand muß breit genug sein, damit der Finger nicht den Text verdeckt; die Innenbindung muß v.a. bei dicken Büchern berücksichtigt werden usw.
Bei einem rein digitalen Dokument (Prototyp: interner Bericht oder Vermerk für die Firma/Behörde) ist das anders: Hier braucht es keine unterschiedlich breiten Innen- und Außenstege, und ein Finger kann auch nichts verdecken. Im Prinzip könnte man oben, unten, rechts und links genau 1 cm Rand belassen. Im Druck würde das furchtbar aussehen, aber nicht zwingend am Bildschirm.
Nur eines sollte stets gewahrt bleiben, das betrifft Drucksachen wie reine Bildschirmtexte: Nie mehr als 60–80 Zeichen pro Zeile! Sind es weniger, muß das Auge andauernd hin- und herspringen; sind es mehr, findet das Auge nicht mehr den Anfang der nächsten Zeile. 60–80 Zeichen sind eine der wenigen festen Orientierungsregeln in der Typographie. Im Umkehrschluß würde also ein Rand von allseitig 1 cm bedeuten, dass bei einem Papierformat von A4 und einer Schriftgröße von 11 pt rund 100 Zeichen pro Zeile erzeugt werden, und das ist wirklich zu lang. Also sind passende Ränder sinnvoll – sie »drängen« den Textfluß (abhängig von der Schriftgröße) auf ein erträgliches Maß zusammen. Das gilt am Bildschirm genauso wie auf Papier.
Dazu kann ich mich kaum äußern. Es geht wohl darum, daß man nicht mehr als zwei Schriftarten pro Dokument gebrauchen oder es mit designtechnischen Spielereien übertreiben soll. Wer soweit ist, kann das Textsetzen auch sein lassen.
… Der böse Blocksatz zerreißt den Text durch die Dehnung der Wortabstände, und der gute linksbündige Text soll es richten.
Nun ist es so, daß auch die Frage der Textausrichtung von der Textart und dem Ziel der Anwendung abhängt, sogar von der Sprache des Textes! Zentrierter Text mag sich in der Tat nur für Überschriften oder Lyrik eignen (rechtsbündiger Text kommt eigentlich ausschließlich für eine besondere Typographie der Lyrik infrage). Für Mengentext ist es daher fast immer die Frage: linksbündig oder Blocksatz.
Bei den vielen Hinweisen aus dem Internet wird leider viel vermischt und falsch dargestellt. Da liest man, daß ganzseitiger Mengentext linksbündig gesetzt werden soll, aber Blocksatz bei schmalen Spalten wie Zeitungskolumnen. Richtig ist, daß der Blocksatz dem Leser entgegenkommt, denn die einheitlich ausgeschlossenen Zeilen (sie enden immer genau an derselben Position auf der Seite) helfen dem Auge beim Umbrechen auf die nächste Zeile. Das Auge muß also nicht mehr »suchen«, ob die Zeile mit einem kurzen oder langen Wort endet.
(Nebenbei: Der auf konstante Zeilenbreite ausgeschlossene Satz ist mit dem Blocksatz nicht identisch (in diesem Beitrag aber synonym gebraucht). Der sog. Blocksatz ist ein Konzept aus den 1920er Jahren, bei dem man auch die letzte Zeile eines Absatzes in die rechteckige Form zu pressen versuchte, daher »Blocksatz«. Beim ausgeschlossenen Satz werden dagegen alle Zeilen mit gleichartiger Berandung gefüllt, wobei die letzte Zeile frei auslaufen darf. Diese letztere Satzform ist in modernen prosaischen Drucksachen allgegenwärtig.)
Wird der Text allerdings schmaler gesetzt, kann es mit Blocksatz zum Problemen beim Textumbruch kommen (ausgeprägt bei den vielen langen Komposita-Wörtern in deutscher Sprache), so daß für schmalen Spaltensatz eigentlich der rein linksbündige Satz empfehlenswert ist (also genau anders, als im Internet empfohlen). Grundsätzlich linksbündiger Satz wirkt dagegen »unfertig«, jedenfalls bei Drucksachen; vielleicht erinnert er an den gleichermaßen gesetzten (technisch nicht anders umsetzbaren) Text aus Schreibmaschinen. Andere Erscheinungsformen wie Webseiteninhalte (einschl. Blogs und diese Webseite!) sollten dagegen nicht in Blocksatz gezwungen werden (HTML unterstützt das sowieso nicht). Auch hier gilt also: Druck oder Bildschirm? Und keine Pauschalisierungen!
Und wenn Blocksatz verwendet wird, dann bitte mit aktivierten Worttrennungen!
Manche Textprogramme ziehen bei einem neuen Absatz automatisch die erste Zeile ein. Viele Anwender verstehen nicht, was das bedeuten soll. Sie wittern eine unnötige Platzvergeudung, können aber nicht verstehen, dass dies die sinnvollste und am wenigsten vom Lesen ablenkende Form ist, um einen neuen Absatz (einen neuen Gedankenstoß) einzuleiten. — Wie sollte er sonst eingeleitet werden? Den ersten Buchstaben als Initial? Das erste Wort farbig? Ein Sonderzeichen vorangestellt? Es läßt sich gewiß darüber streiten, wie lang dieser Einzug sein muß (üblich ist ein Geviert), aber in langen Lesetexten ist er unvermeidbar. Der Einzug des ersten Absatzes unter einer Überschrift ist übrigens unnötig, da der Absatzbeginn bereits hinreichend gekennzeichnet ist. Korrekt wird das Konzept von TeX umgesetzt, wo unter Voreinstellung jeder Absatz (außer der erste unter einer Überschrift) mit einem Einzug beginnt.
Im Internet finden sich daraufhin Ratschläge, wie der leidige Absatzeinzug abzustellen sei und man stattdessen einen Absatz-Abstand einrichtet, d.h. einen Leerraum zwischen zwei Absätzen. Auch so lassen sich selbstverständlich eigenständige Absätze kennzeichnen. Das Problem sind die Nebenwirkungen: Neben dem erhöhten Platzverbrauch kann der Zusammenhang auseinandergerissen werden, und der Grauwert einer Seite wird ohnehin beeinträchtigt.
Das Gesagte gilt für Drucksachen. Ausnahmen gibt es abermals für reine Bildschirm-Anwendungen (Webseiten), bei denen HTML die meisten lesetypographischen Feinheiten aufgrund des dynamischen Layouts sowieso nicht zielführend umsetzen kann.
Kann so nicht pauschalisiert werden, und schon gar nicht für kleine Abbildungen, die nur die halbe Seitenbreite einnehmen – dann werden sie am besten text-ökonomisch von Seiteninhalt »umlaufen«. Es gibt auch Fälle, wo die Abbildung am Kopf der Seite am besten wirkt. Auch hier hat man nicht immer zuvor einen vollendeten Absatz gegeben.
Was für eine Erkenntnis, nur vergleichbar mit der Großtat, die Kartoffelschale in einem Stück abzuziehen!
Auslöser meiner Empörung sind Richtlinien bzw. Vorgaben für die zu verwendenden Text- und Layout-Formatierungen von Hochschulen (syn. Universitäten) und Behörden gegenüber Studenten bzw. Mitarbeitern. Nicht selten fragen sich Studenten nämlich, welche Schriftart für ihre Abschlußarbeit zu verwenden sei, man will ja keine Fehler machen und den Professor unnötig verärgern – einen inhaltlich gehaltvollen Text auszuarbeiten, ist schließlich stressig genug (woran die korrekte Zitate- und Quellenverwaltung nicht wenig Anteil hat). Da verlangt der Unbedarfte nach konkreten Vorgaben, wie das Dokument zu gliedern und zu formatieren sei. Schließlich gibt es für alles irgendwelche Vorgaben und Vorlagen. Behörden stehen auf so etwas genauso wie Hochschulen.
Nun ist es so, daß in der Tat die meisten Hochschulen derartige Richtlinien führen. In 9 von 10 Fällen wird man dann lesen: Zu nutzen sei für den Fließtext die Times, 12 pt, 1,5-facher Zeilenabstand; für Überschriften die Arial. Denn beide seien ja »gut lesbar«.
Wer allerdings so etwas empfiehlt, ist schlichtweg ahnungslos!
Solche Richtlinien werden offenbar von Leuten aufgestellt, die einfach nur die bekanntesten Schrift-Namen wiedergeben. Times irgendwas mit »Füßchen« und Arial – … weil die sowieso jeder hat.
Dabei spreche ich gar nicht von »abgenutzten«, d.h. viel zu häufig verwendeten Schriften. Denn solche haben die Gewohnheit, an Anreiz einzubüßen, je öfter man sie sieht. Mir persönlich scheint es angesichts so vieler Alternativen schwer zu begründen, warum man an Times und Arial festhalten sollte. Nein, ich spreche konkret von Lesbarkeit und Lizenzproblemen.
Zur Lesbarkeit. Die Times wurde ursprünglich für den Zeitungsdruck konzipiert, wo es darauf ankam, daß viel Text in teilweise winzigen Größen auf rauhem Papier auch dann noch zu lesen ist, wenn Punzen durch verschmierte Druckertinte zusammenlaufen. Ausgedruckt mit einem guten Drucker auf gutem Papier wirkt sie dagegen oftmals fleckig und ist dann anstrengend zu lesen (selbst am Bildschirm). Arial dagegen ist in der Tat sehr gut lesbar – am Computerbildschirm! Im Druck ist sie gräßlich, in längeren Textblöcken sogar unerträglich.
Neben diesen »Klassikern« werden noch andere Konsorten »empfohlen«: Calibri, Verdana, Tahoma. Dieses Portfolio erweckt den Eindruck, als habe ein Windows-Nutzer das Schriftarten-Verzeichnis gefunden und einige »ganz OK aussehende« Beispiele herausgesucht. Zumindest Verdana und Tahoma sollten unbedingt am Bildschirm bleiben und sind als Satzschrift einer professionellen Abschlußarbeit unhaltbar!
Zuweilen wird eine Garamond oder Baskerville empfohlen. Das sind zwar hervorragend lesbare Satzschriften, die aber nur selten gut ausgebaut, d.h. mit nur allernötigsten mathematischen Symbolen oder einem griechischen Alphabet ausgestattet sind. Solche Schriften eignen sich allenfalls für philosophische, vielleicht juristische Texte, die ohne derartige Glyphen auskommen.
Davon abgesehen werden Empfehlungen zu Schriftgröße und Zeilenabstand mitgegeben, die gar nicht zueinander passen: Eine 12 pt Times bei 1,5-fachem Zeilenabstand? Guter Versuch. Manchmal wird sogar doppelter Zeilenabstand empfohlen! Gut für diejenigen Studenten, die wenig Text auf möglichst vielen Seiten verkaufen wollen.
Doppelter Zeilenabstand (in Kombination mit Zeilennummern) ist tatsächlich in Manuskripten sinnvoll, an denen Kommentare und Korrekturen angefügt werden müssen. Aber auch nur dann, wenn das Manuskript in Papierform vorliegt. In einem digitalen Dokument bedient man sich heutzutage besser der Funktion »Änderungen nachverfolgen«, wie sie die meisten Textverarbeitungen mitbringen.
Unmoralisch wird es, wenn als Hausschrift eine kommerziell lizenzierte Schrift vorgeschrieben wird. Ich kenne sowohl Univers und Futura von Hochschulen als auch Myriad von Behörden. Für den Studenten sind diese Schriften nur mit Lizenz nutzbar und dürfen als solche nicht weitergegeben werden. Diese Grauzone zu betreten ist unnötig, da es, wie erwähnt, unzählige freie Alternativen gibt (Top 10). Univers und Myriad sind an sich vorzügliche Schriften, die sehr wohl ihre Berechtigung im sachlich-ästhetischen Satz offizieller Dokumente haben können. Futura dagegen ist als geometrische Grotesk eine längst überholte Mode-Erscheinung: Damals hochgelobt (nicht von allen Kritikern), aber im Grunde ein Augenkrampf bei allen längeren Texten. Die Futura als »gut lesbar« zu bezeichnen ist jahrzehntealte Propaganda, keine Tatsache. Sie eignet sich bestenfalls für einzelne Buchstaben oder Wörter (Logos).
Während Hausschriften wie Futura, Myriad und Univers nach Lobbyismus oder Knebelverträgen riechen, verdeutlicht eine Empfehlung von Times, Arial, Georgia und anderen typischen Windows- bzw. MS-Office-Schriften, daß hier nach Willkür und freigreifender Ahnungslosigkeit ausgesucht wurde. Die Nutzung einer Schriftart darf nicht von der weiten Verbreitung eines Betriebssystems oder MS Office abgeleitet werden! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! Das Installieren alternativer Schriftarten ist einfach wie nie!
Vorgaben wie Schriftgröße und Zeilenabstand können nicht pauschal festgelegt werden. Sie richten sich nach der Textart und der verwendeten Schrift. Auch pauschale Vorgaben für Seitenränder sollten eigentlich nicht »festgelegt« werden. Sie entscheiden sich nach Textart, nach Blattnutzung, nach Seitenaufteilung, nach ein- oder zweiseitigem Layout, nach Platz für Kopf- und Fußzeile und Marginalien.
Vorgaben wie »einseitiger Druck« sind nichts anderes als Papierverschwendung. Eine Abschlußarbeit sieht dann einfach dicker aus. Sofern das Papier nicht zu dünn gewählt wird (für solche Arbeiten nie unter 90 g/m²), kann ein Blatt ruhig doppelseitig bedruckt werden.
Mag sein, daß der Prüfer das alles nicht so eng sieht, und der Student letztlich froh ist, wenn er seinen Text zu Papier bringt. Doch sollten wir den Studenten, den jungen klugen Köpfen von morgen, nicht wenigstens ein wenig Gefühl für Ästhetik nahelegen, anstatt ihnen x-mal wiedergekäute und ungeprüfte Zahlen und Maße vorzuschreiben?
Stichwort: Times und Arial. Wer sagt, daß die beiden gut zusammenarbeiten? Führe man den Beweis, daß Perpetua und Arial nicht besser aussehen!
Stichwort: »Sonderzeichen«. Ein gruseliges Wort. Wir sollten besser von Diakritika, Zahlformen, mathematischen Operatoren, nicht-lateinischen Alphabeten usw. sprechen. Mit dem Wort »Sonderzeichen« ist meist alles gemeint, was man nicht auf Anhieb auf der Tastatur findet. Gelegentlich wird anstelle der Arial die Times empfohlen, denn sie habe »mehr Sonderzeichen«. – Es ist korrekt, daß Arial und Times sehr gut ausgebaut sind. Das liegt an ihrem Alter. Auch die Myriad ist hervorragend ausgebaut, was an ihrem Erschaffer liegt. Doch diese Schriften sind ja nicht die einzigen auf der Welt! Es gibt Dutzende Schriften, die sind viel besser ausgebaut! Damit verliert sich das vorgebliche Alleinstellungsmerkmal der Times und Arial.
Ich werde niemals eine Times und/oder Arial für den Satz von Abschlußarbeiten empfehlen – Igitt. Und im Zweifel werde ich auch nie empfehlen, sich an die Richtlinien der Hochschule zu halten. Eine Hochschule, sofern sie zu Times und Arial rät, hat niemals recht! Mehr noch, gerade darin beweist sie ihre Unkenntnis, ihre ästhetische und typographische Unzulänglichkeit.
Daher zwei Lösungswege:
Eine sichere Empfehlung für Abschlußarbeiten aller Art sind immer die Libertinus Serif (für den Fließtext) und Libertinus Sans (eine Organogrotesk für Überschriften). Die Libertinus (vormals Linux Libertine, bevor sie unter neuem Namen weiterentwickelt wurde) habe ich selbst für meine Diplomarbeit verwendet; in meiner Dissertation waren es die Alegreya und Alegreya Sans.
Besonderheiten dieser Schriftart inkl. eines Vergleichs mit der Times werden hier zusammengefaßt.
Homepage Libertinus:
https://github.com/alerque/libertinus
Andere bemerkenswerte Schriftarten für den Fließtext sind:
Für Überschriften bieten sich serifenlose Schriften an, z.B. Noto Sans, Lato, Plex Sans, PT Sans, Open Sans, Inter. Wählt man eine Serifenlose mit mehreren Gewichten (Mager bis Fett), kann man seine Überschriftenebenen gut ausarbeiten.
Die beste Lösung sind zwei Schriftformen, die aufeinander abgestimmt sind. Viele Schriftarten sind sowohl als Serif als auch Sans-Schrift angelegt. Die Serif wird dann im Fließtext eingesetzt, die Sans für Überschriften. Das harmoniert immer am besten. Beispiele:
Als Geheimtip gilt die sog. STIX. Das steht für Scientific and Technical Information Exchange. Und die Schrift macht genau das, wofür sie konzipiert wurde: Bemerkenswert gut lesbar und hervorragend ausgebaut, mit allen Symbolen, die der Naturwissenschaftler brauchen könnte. Wenn ich nur eine Schrift den Hochschulen als Hausschrift und den Studenten als Einsatzschrift empfehlen könnte – es wäre diese. Die STIX gibt es außerdem als speziellen »Math Font«, d.h. mit noch mehr Glyphen aus dem mathematischen Bereich. Die Libertinus hat übrigens auch so einen Math Font.
Wer lieber mit TeX arbeitet, der findet eine Vorlage für eine wissenschaftliche Abschlußarbeit hier.
Viel zu selten werden freie Schriftwarten empfohlen, sei es aus Vorurteilen oder Unkenntnis. Dem Studenten wird gesagt: Nimm Helvetica, weil … na ja, weil die halt gut aussieht. Oder: Nimm Times, weil … die hast du auf jeden Fall installiert.
Helvetica ist aber keine frei zugängliche Schrift. Hier fehlen Verweise auf Arial, Liberation Sans oder Nimbus Sans, das sind alles metrische Klone zur erfolgreichen Helvetica. Vorsicht also bei Empfehlungen, bei denen selbst der Empfehlende offenbar nicht die Lizenzbestimmungen kennt! Am sichersten fährt man daher, wenn man sich von vornherein auf frei lizenzierte Schriftarten konzentriert (SIL Open Font License u.a.).
Im Vergleich sind die kommerziell vertriebenen Schriften mitunter nicht immer die »besseren« (wie das ja auch für andere Software generell nicht gelten kann!). Bei einem objektiven Vergleich zur Ausstattung und Lesbarkeit zeigt sich im Ranking (siehe Top-Ten-Listen): 7 von 10 Antiqua für den Mengentext sind frei lizenziert, bei den (meist statischen, kühlen) Antiqua für Sachberichte sind sogar 10 von 10 frei!
Selbstverständlich interessiere ich mich auch für die kommerziell vertriebenen Schriften, denn dahinter steht ein Schriftschöpfer, der auch bezahlt werden will. Persönlich habe ich daher auch schon einige Schriften gekauft, z.B. Tierra Nueva, Gaultier, Graublau u.a. Nichtsdestotrotz liegt mein Augenmerk auf frei vertriebenen Schriften und wie sie sich im Vergleich schlagen.
Manche Hochschulen haben eigene Hausschriften entwickelt (entwickeln lassen). Wenn solche vorgegeben sind, wird es mitunter schwierig sie zu imitieren. Vielleicht muß das nicht sein. Manche Hausschriften sind gut lesbar und großzügig ausgebaut, auch mit mathematischen Glyphen und anderen typographischen Feinheiten. Hier muß man von Fall zu Fall unterscheiden, ob man die Schriftvorgabe ersetzen will.
Manchmal haben die Vorgaben »Times bei 12pt und 1,5-fachem Zeilenabstand« den Hintergedanken, daß sich damit der Umfang von Abschlußarbeiten vergleichen läßt. Mit diesen Parametern soll eine Abschlußarbeit dann »mindestens 50 Seiten« lang sein. Das kann man machen. Weniger dümmlich wirkt es, wenn man stattdessen eine Wortanzahl vorgibt. Denn die ist von der Schrift- und Layoutformatierung unabhängig.