Bei meiner Neugier auf Schriftarten stoße ich in den Weiten des Internets immer wieder auf besonders aufstoßende »Empfehlungen für die richtige Schriftart« für die Bachelor-/Masterarbeit oder sonst einen (laborativen) Bericht im studentischen Umfeld. Hier ist es leider nicht selten so, daß Unwissende mit Unwissenden kommunizieren.
Auslöser meines Protestes sind Richtlinien bzw. Vorgaben für die zu verwendenden Text- und Layout-Formatierungen von Universitäten (auch Behörden) gegenüber Studenten bzw. Mitarbeitern. Nicht selten fragen sich Studenten nämlich, welche Schriftart für ihre Abschlußarbeit zu verwenden sei, man will ja keine Fehler machen. Und wahr ist: Für einen Studenten ist das Verfassen eines ausdrucksstarken, inhaltlich richtigen Textinhalts stressig genug (woran die korrekte Zitate- und Quellenverwaltung nicht wenig Anteil hat). Da möchte man freilich so wenig wie möglich Unsinn treiben und verlangt nach konkreten Vorgaben, wie das Dokument zu gliedern und zu formatieren sei. Schließlich gibt es für alles irgendwelche Vorgaben und Vorlagen. Behörden stehen auf so etwas genauso wie Unis.
Nun ist es so, daß in der Tat jede Uni derartige Richtlinien führt. In 9 von 10 Fällen wird man dann lesen: Zu nutzen sei für den Fließtext die Times, 12 pt, 1,5-facher Zeilenabstand; für Überschriften die Arial. Denn beide seien ja »gut lesbar«.
Wer allerdings so etwas empfiehlt, ist schlichtweg ahnungslos!
Solche Richtlinien werden offenbar von Leuten aufgestellt, die einfach nur die bekanntesten Schrift-Namen wiedergeben. Times irgendwas mit »Füßchen« und Arial – weil die sowieso jeder hat.
Dabei spreche ich gar nicht von »abgenutzten«, d.h. viel zu häufig verwendeten Schriften. Denn solche haben die Gewohnheit, an Anreiz einzubüßen, je öfter man sie sieht. Mir persönlich scheint es angesichts SO VIELER Alternativen schwer zu begründen, warum man an Times und Arial festhalten sollte. Nein, ich spreche konkret von Lesbarkeit und Lizenzproblemen.
Zur Lesbarkeit. Die Times wurde ursprünglich für den Zeitungsdruck konzipiert, wo es darauf ankommt, daß viel Text in teilweise winzigen Größen auf rauhem Papier auch dann noch zu lesen ist, wenn Punzen durch verlaufende Druckertinte zusammenlaufen. Ausgedruckt mit einem guten Drucker auf gutem Papier wirkt sie dagegen oftmals fleckig und ist dann anstrengend zu lesen. Arial dagegen ist in der Tat sehr gut lesbar – am Computerbildschirm! Im Druck ist sie gräßlich, in längeren Textblöcken sogar unerträglich.
Neben diesen »Klassikern« werden noch andere Konsorten »empfohlen«: Calibri, Verdana, Tahoma. Dieses Portfolio erweckt den Eindruck, als habe ein Windows-Nutzer das Schriftarten-Verzeichnis gefunden, und einige »ganz OK aussehende« Beispiele herausgesucht. Zumindest Verdana und Tahoma sollten unbedingt am Bildschirm bleiben und sind als Satzschrift einer professionellen Abschlußarbeit unhaltbar!
Zuweilen wird eine Garamond oder Baskerville empfohlen. Das sind zwar hervorragend lesbare Satzschriften, die aber nur selten gut ausgebaut, d.h. mit nur wenigen mathematischen Symbolen oder einem griechischen Alphabet ausgestattet sind. Solche Schriften eignen sich allenfalls für philosophische, vielleicht juristische Texte, die ohne derartige Glyphen auskommen.
Davon abgesehen werden Empfehlungen zu Schriftgröße und Zeilenabstand mitgegeben, die gar nicht zueinander passen: Eine 12 pt Times bei 1,5-fachem Zeilenabstand? Guter Versuch. Manchmal wird sogar doppelter Zeilenabstand empfohlen! Gut für diejenigen Studenten, die wenig Text auf möglichst vielen Seiten verkaufen wollen.
Doppelter Zeilenabstand (in Kombination mit Zeilennummern) ist tatsächlich in Manuskripten sinnvoll, an denen Kommentare und Korrekturen angefügt werden müssen. Aber auch nur dann, wenn das Manuskript gedruckt wird. In digitaler Form behilft man sich heutzutage lieber der Funktion »Änderungen nachverfolgen«, wie sie die meisten Textverarbeitungen mitbringen.
Unmoralisch wird es, wenn als Hausschrift eine kommerziell lizenzierte Schrift vorgeschrieben wird. Ich kenne sowohl Univers und Futura von Universitäten als auch Myriad von Behörden. Für den Studenten sind diese Schriften nur mit Lizenz nutzbar und dürfen als solche nicht weitergegeben werden. Diese Grauzone zu betreten ist unnötig, da es, wie erwähnt, unzählige freie Alternativen gibt. Univers und Myriad sind an sich vorzügliche Schriften, die sehr wohl ihre Berechtigung im sachlich-ästhetischen Satz offizieller Dokumente haben können. Futura dagegen ist als geometrische Grotesk eine längst überholte Mode-Erscheinung: Damals hochgelobt, aber im Grunde ein Augenkrampf bei allen längeren Texten. Die Futura als »gut lesbar« zu bezeichnen ist jahrzehntealte Propaganda, keine Tatsache. Sie eignet sich bestenfalls für einzelne Buchstaben oder Wörter (Logos).
Während Hausschriften wie Futura, Myriad und Univers nach Lobbyismus oder Knebelverträgen riechen, verdeutlicht eine Empfehlung von Times, Arial, Georgia und anderen typischen Windows- bzw. MS-Office-Schriften, daß hier nach Willkür und freigreifender Ahnungslosigkeit ausgesucht wurde. Die Nutzung einer Schriftart darf nicht von der weiten Verbreitung eines Betriebssystems oder Office abgeleitet werden! Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun! Das Installieren alternativer Schriftarten ist einfach wie nie!
Vorgaben wie Schriftgröße und Zeilenabstand können nicht pauschal festgelegt werden. Sie richten sich nach der Textart und der verwendeten Schrift. Auch pauschale Vorgaben für Seitenränder sollten eigentlich nicht festgelegt werden. Sie entscheiden sich nach Textart, nach Blattnutzung, nach Seitenaufteilung, nach ein- oder zweiseitigem Layout, nach Platz für Kopf- und Fußzeile und Marginalien.
Vorgaben wie »einseitiger Druck« sind nichts anderes als Papierverschwendung. Eine Abschlußarbeit sieht dann einfach dicker aus. Sofern das Papier nicht zu dünn gewählt wird (für solche Arbeiten nie unter 90 g/m²), kann ein Blatt ruhig doppelseitig bedruckt werden.
Mag sein, daß der Prüfer das alles nicht so eng sieht, und der Student letztlich froh ist, wenn er seinen Text zu Papier bringt. Doch sollten wir den Studenten, den jungen klugen Köpfen von morgen, nicht wenigstens ein wenig Gefühl für Ästhetik nahelegen, anstatt ihnen x-mal wiedergekaute und ungeprüfte Zahlen und Maße vorzuschreiben?
Stichwort: Times und Arial. Wer sagt, daß die beiden gut zusammenarbeiten? Führe man den Beweis, daß Perpetua und Arial nicht besser aussehen!
Stichwort: »Sonderzeichen«. Ein gruseliges Wort. Wir sollten besser von Diakritika, Zahlformen, mathematischen Operatoren, nicht-lateinischen Alphabeten usw. sprechen. Mit dem Wort »Sonderzeichen« ist meist alles gemeint, was man nicht auf Anhieb auf der Tastatur findet. Gelegentlich wird anstelle der Arial die Times empfohlen, denn sie habe »mehr Sonderzeichen«. – Es ist korrekt, daß Arial und Times sehr gut ausgebaut sind. Das liegt an ihrem Alter. Auch die Myriad ist hervorragend ausgebaut, was an ihrem Erschaffer liegt. Doch diese Schriften sind ja nicht die einzigen auf der Welt! Es gibt Dutzende Schriften, die sind viel besser ausgebaut! Damit verliert sich das vorgebliche Alleinstellungsmerkmal der Times und Arial.
Ich werde niemals eine Times und/oder Arial für den Satz von Abschlußarbeiten empfehlen. Igitt. Und im Zweifel werde ich auch nie empfehlen, sich an die Richtlinien der Universität zu halten. Eine Universität, sofern sie zu Times und Arial rät, hat nie recht! Mehr noch, gerade darin beweist sie ihre Unkenntnis, ihre ästhetische und typographische Unfähigkeit.
Daher zwei Lösungswege:
Eine sichere Empfehlung für Abschlußarbeiten aller Art sind immer die Libertinus Serif (für den Fließtext) und Libertinus Sans (eine Organogrotesk für Überschriften). Die Libertinus (damals eigentlich Linux Libertine, bevor sie unter neuem Namen weiterentwickelt wurde) habe ich selbst für meine Diplomarbeit verwendet.
Besonderheiten dieser Schriftart inkl. eines Vergleichs mit der Times werden hier zusammengefaßt. Die Linux Libertine wird leider nicht mehr weiterentwickelt und wurde kürzlich unter dem Namen Libertinus Serif und Libertinus Sans geforkt. Hinsichtlich Ausbau und Lesbarkeit ist sie mit der Libertine identisch und kann bedenkenlos stattdessen benutzt werden.
Homepage Linux Libertine:
http://libertine-fonts.org/
Homepage Libertinus:
https://github.com/alerque/libertinus
Andere bemerkenswerte Schriftarten für den Fließtext sind:
Alegreya:
https://fonts.google.com/specimen/Alegreya#standard-styles
STIX:
https://www.stixfonts.org/
Charis SIL:
https://software.sil.org/charis/
Gentium:
https://software.sil.org/gentium/
Junicode:
Für Überschriften bieten sich serifenlose Schriften an, z.B. Noto Sans, Lato, Plex Sans, PT Sans, Open Sans, Work Sans. Wählt man eine Serifenlose mit mehreren Gewichten (Mager bis Fett), kann man seine Überschriftenebenen gut ausarbeiten.
Die beste Lösung sind zwei Schriftformen, die aufeinander abgestimmt sein. Viele Schriftarten sind sowohl als Serif als auch Sans-Schrift angelegt. Die Serif wird dann im Fließtext eingesetzt, die Sans für Überschriften. Das harmoniert immer am besten. Beispiele:
Als Geheimtip gilt die sog. STIX. Das steht für Scientific and Technical Information Exchange. Und die Schrift macht genau das, wofür sie konzipiert wurde: Bemerkenswert gut lesbar und hervorragend ausgebaut, mit allen Symbolen, die der Naturwissenschaftler brauchen könnte. Wenn ich nur eine Schrift den Universitäten als Hausschrift und den Studenten als Einsatzschrift empfehlen könnte – es wäre diese. Die STIX gibt es außerdem als speziellen »Math Font«, d.h. mit noch mehr Glyphen aus dem mathematischen Bereich. Die Libertinus hat übrigens auch so einen Math Font.
Wer lieber mit TeX arbeitet, der findet eine Vorlage für eine wissenschaftliche Abschlußarbeit hier.
Viel zu selten werden freie Schriftwarten empfohlen, sei es aus Vorurteilen oder Unkenntnis. Dem Studenten wird gesagt: Nimm Helvetica, weil … na ja, weil die halt gut aussieht. Oder: Nimm Times, weil die hast du auf jeden Fall installiert.
Helvetica ist aber keine frei zugängliche Schrift. Hier fehlen Verweise auf Arial, Liberation Sans oder Nimbus Sans, das sind alles metrische Klone zur erfolgreichen Helvetica. Vorsicht also bei Empfehlungen, bei denen selbst der Empfehlende offenbar nicht die Lizenzbestimmungen kennt! Am sichersten fährt man daher, wenn man sich von vornherein auf frei lizenzierte Schriftarten konzentriert.
Im Vergleich sind die kommerziell vertriebenen Schriften mitunter NICHT immer die »besseren« (wie das ja auch für andere Software generell nicht gelten kann!). Bei einem objektiven Vergleich zur Ausstattung und Lesbarkeit zeigt sich im Ranking (siehe Top-Ten-Listen): 8 von 10 Antiqua für den Mengentext sind frei lizenziert, bei den (meist statischen, kühlen) Antiqua für Sachberichte sind sogar 10 von 10 frei!
Selbstverständlich interessiere ich mich auch für die kommerziell vertriebenen Schriften, denn dahinter steht ein Schriftschöpfer, der auch bezahlt werden will. Persönlich habe ich daher auch schon einige Schriften gekauft, z.B. Tierra Nueva, Gaultier, Graublau u.a. Nichtsdestotrotz liegt mein Augenmerk auf frei vertriebenen Schriften, und wie sie sich im Vergleich schlagen.
Manche Unis haben eigene Hausschriften entwickelt (entwickeln lassen). Wenn solche vorgegeben sind, wird es mitunter schwierig sie zu imitieren. Vielleicht muß das nicht sein. Manche Hausschriften sind gut lesbar und großzügig ausgebaut, auch mit mathematischen Glyphen und anderen typographischen Feinheiten. Hier muß man von Fall zu Fall unterscheiden, ob man die Schriftvorgabe ersetzen will.
Manchmal haben die Vorgaben »Times bei 12pt und 1,5-fachem Zeilenabstand« den Hintergedanken, daß sich damit der Umfang von Abschlußarbeiten vergleichen läßt. Mit diesen Parametern soll eine Abschlußarbeit dann »mindestens 50 Seiten« lang sein. Das kann man machen. Weniger einfältig wirkt es, wenn man stattdessen eine Wortanzahl vorgibt. Denn die ist von der Schriftformatierung unabhängig.