Ein Kanon zur Codierung von mikro- und makropaläontologischen Belegen mithilfe von Ideogrammen
von Dipl.-Geol. Gregor Barth
Version 1.23, April 2024 (Konzeption im Juni 2018)
CC BY-NC-SA
Die Güstrower Notation, benannt nach dem Ort des ersten Entwurfs, dient vorrangig (und dafür wurde sie konzipiert) zur wertfreien Darstellung der Zusammensetzung einer mikro- (Zelle) oder makropaläontologischen Probe. Sie läßt erst sekundär Raum für eine taxonomische Identifikation oder Angabe der Anzahl der Objekte.
Die ursprüngliche Notwendigkeit zur Einführung einer neuen, abgekürzten Schreibweise von Fossiliengruppen oblag der Arbeit mit Frankezellen, auf denen aus Platzgründen nur wenig Raum für Beschriftungen gegeben ist. Da bei der Aufarbeitung einer mikropaläontologischen Probe üblicherweise eine Vielzahl von Fossiliengruppen nachgewiesen werden, überträgt sich das Problem außerdem auf die Hinterlegung der Informationen in einer Datenbank; auch dort würde eine nicht abgekürzte Schreibweise von wiederkehrenden Fossilgruppen unnötig Platz verbrauchen und die Übersichtlichkeit verringern.
Anders als in bestehenden Abkürzungssystemen wird mit Anwendung der Güstrower Notation auch die taxonomische Zusammengehörigkeit berücksichtigt. So gibt es zwar die einfach einsetzbare Möglichkeit, die Hauptgruppen z.B. mit drei Buchstaben abzukürzen (amm = Ammoniten, for = Foraminiferen), jedoch wird deren Zusammengehörigkeit zu einer übergeordneten Hauptgruppe (meist Stamm) nicht deutlich. Außerdem werden Bestandteile derselben Formengruppe nach diesem Schema nicht als zusammengehörig gekennzeichnet: Trochiten beispielsweise könnten mit tro abgekürzt werden, stehen dann aber neben cri = Crinoidea, deren Bestandteile sie sind, und beide stehen neben ech = Echinodermata, etwa für unidentifizierbare Echinodermenreste. Dagegen kann es für eine biofazielle Analyse wichtig sein, welche Hauptgruppen dokumentiert worden sind, ohne sich mit der Zusammengehörigkeit von Abkürzungen auseinandersetzen zu müssen. Andere Beispiele sind Zähne und Schuppen von Wirbeltieren, oder Blätter und Früchte von Pflanzen.
Die Güstrower Notation bringt folgende Vorteile mit sich:
Die Güstrower Nomenklatur besteht aus drei Segmenten:
Diese werden fortlaufend, d.h. ohne Trennstriche oder Leerräume, als ein »Wort« gesetzt. Beispielsweise: +cr0β
Dabei ist +cr die Gruppe (+ steht für Echinodermen, cr für Crinoideen), 0 der Bestandteil (hier: Trochiten), β der Zustand (hier: Bruchstück). +cr0β codiert demnach ein Trochitenbruchstück.
Lediglich die Angabe der Gruppe ist zwingend notwendig; Bestandteil und Zustand können ergänzend angemerkt werden.
Zur Gruppe
Die »Gruppe« kennzeichnet die taxonomische Einordnung des Objekts; bei den Metazoen üblicherweise bezogen auf ihren Stamm. Das Kürzel besteht immer aus einem Sonderzeichen, dem meistens zwei Buchstaben des lateinischen Alphabets folgen. Über dieses Sonderzeichen sind alle Objekte mit demselben Sonderzeichen als zusammengehörig (verwandt) gekennzeichnet.
Die Wahl des vorangestellten Sonderzeichens ist nicht willkürlich:
Zum Bestandteil
Eine nachgestellte Ziffer (siehe Tabellen bei jeder Fossilgruppe) kennzeichnet einen phänotypischen Fossilbestandteil, der auch als Bruchstück der Gesamtheit (Aptyche, Frucht) angesehen werden kann.
Zum Zustand
Der sog. Zustand wird mit griechischen Buchstaben angegeben. Alpha (α) wird dabei stets zur Betonung eines vollständigen oder besonders gut erhaltenen Exemplars verwendet; Beta (β) immer zur Kennzeichnung eines Bruchstücks (hier im Sinne eines beschädigten oder unvollständigen Exemplars, nicht als »Bruchstück« des fossilen Organismus, d.h. beispielsweise Blätter, Aptychen, Seeigel-Keulen etc.); Gamma (γ) wird zur Kennzeichnung eines Referenzobjekts (Holotyp, Paratyp, Abbildungsoriginale usw.) benutzt.
(Momentan) nicht vorgesehen ist die Kennzeichnung einer durch chemische oder mechanische Prozesse nachträglich zugeführten Veränderung des Materials, auch wenn dies mit fortlaufenden griechischen Buchstaben höher als Beta leicht umzusetzen wäre: Steinkern oder Abdruck, Perlmuttschalenerhaltung, pyritisiert, Farbveränderungen, verdrückt etc., beispielsweise:
Eine Ausnahme bildet die Angabe »Schill« bei schalentragenden Mollusken.
Asterisk * entspricht der winzigen Größe von Protisten und Algen. Unter den Protisten werden mit dem Sternchen sowohl Protozoen als auch Protophyten zusammengefaßt.
*fo | Foraminiferen (Protozoa | Rhizopoda | Foraminiferida) |
*ra | Radiolarien (Protozoa | Rhizopoda | Actinopoda | Radiolaria) |
*di | Dinoflagellaten (Protophyta | Pyrrhophyta | Dinophyceae) |
*si | Silicoflagellaten (Protophyta | Chrysophyta | Chrysophyceae) |
*dt | Diatomeen (Protophyta) |
*pr | Prasinophyceen (Protophyta) |
*ch | Charophyten |
*cc | Coccolithophorida |
Beispiele:
Das Paragraph-Zeichen entspricht der gewundenen Morphologie von Makropflanzen oder deren Wurzeln.
Eine systematische Unterscheidung in Pflanzengruppen (Farne, Bärlappe, Samenpflanzen etc.) wird an dieser Stelle nicht getroffen. Grund dafür ist, daß die Fossildokumentation im Übertage-Aufschluß, am Bohrkern oder unter dem Mikroskop nach pflanzlichen Kompartimenten, gleich welcher taxonomischen Zugehörigkeit, am einfachsten und sichersten ist. Das bedeutet, daß selbst dem Nicht-Fachmann eine Unterscheidung in »Blatt« oder »Wurzel« möglich ist, während nur der Paläobotaniker vor Ort eine Einordnung in eine Pflanzengruppe treffen kann (selbstverständlich ist die Angabe der Pflanzengruppe, sofern erkennbar, sinnvoll). An Stelle des Bestandteils (eigentlich Ziffern) tritt die Gruppe; die Einteilung folgt den Grundbestandteilen von Kormophyten:
§ | Makropflanzen-Reste, allgemein |
§rx | Wurzeln (lat. radix = Wurzel) |
§tc | Spross [exkl. Blätter!] (lat. truncus = Baumstamm), meint: Stamm, (Xylit), Stengel, Rinde/Bast, Äste (lat. ramus = Ast) und Zweige |
§fm | Blätter (lat. folium = Blatt, lat. frons = Laub) |
§ge | Fortpflanzungsorgane [exkl. Sporen und Pollen!], meint: Früchte (z. B. Zapfen), Knospen (lat. gemma = Knospe), Kelch, Blüte (lat. flos = Blüte) |
§de | Detritus (engl. detritus) = unidentifizierbare (oft kohlige) Pflanzenflitter |
Beispiele:
Palynomorphe (Pollen, Sporen, Megasporen) werden hier als Sonderfall von den Pflanzen abgeschieden, gleichwohl sie natürlich (mikropaläophytologische) Bestandteile von Gymnsopermen und Angiospermen sind und damit eigentlich die Signatur §ge erhalten müßten.
Das Prozentzeichen entspricht der geringen Größe von Sporen und Pollen. Da Sporen und Pollen meist zusammen erfaßt werden, kann je ein Kringel vom Prozentzeichen für Sporen und Pollen gesehen werden, getrennt durch einen Schrägstrich.
% | Palynomorphe, allgemein |
%po | Pollen |
%sp | Sporen |
Beispiele:
Das allgemeine Währungszeichen ¤ entspricht der geringen Größe von Acritarchen und anderen pflanzlichen Mikrobestandteilen.
¤ac | Acritarchen |
¤hy | Hystrichosphaerida |
Die Raute entspricht der Struktur von Schwämmen.
# | Schwammrest, allgemein |
#dm | Demospongea |
#ca | Calcarea |
#he | Hexactinellida |
#sm | Stromatoporida |
Bestandteil | Beschreibung |
0 | Schwammskleren (engl. spicule) (Nadeln, Rhaxen) |
Beispiele:
=sc | Scyphozoen (beispielsweise Conularien) |
=hy | Hydrozoa |
=an | Anthozoa (Korallen), allgemein |
=ru | Rugose Korallen |
=ta | Tabulate Korallen |
Als Sonderfall werden hier die tabulaten und rugosen Korallen ausgegliedert.
Aufgrund der für den Fossilbeleg häufigen und wichtigen Gruppen innerhalb der Mollusken erhält nicht der gesamte Stamm eine einheitliche Glyphe, sondern jede Klasse (hier nur Auswahl):
Der Backslash entspricht der mono-linearen Form der gebogenen Kahnfüßer.
\ | Scaphopoden, allgemein |
Die öffnende, runde Klammer entspricht einer Schalenhälfte. An dieser Stelle keine weitere Unterscheidung in Unterklassen, kann aber einfach erweitert werden, z. B. (au für Autobranchiata.
( | Bivalvia, allgemein |
Mit dem Zustand Beta (β) werden hier unter Bruchstücken (der Schale = Schill) auch Prismen, z. B. von Inoceramen, verstanden.
Bestandteil | Beschreibung |
0 | Brut |
Beispiele:
Das Dollar-Zeichen entspricht einem gewundenen Schneckenhaus. An dieser Stelle keine weitere Unterscheidung in Unterklassen, kann aber einfach erweitert werden, z.B. $ca für Caenogastopoda.
$ | Gastropoden, allgemein |
Bestandteil | Beschreibung |
0 | Brut |
1 | Deckel |
Das @-Zeichen folgt der Ammoniten-üblichen Morphologie eines gewundenen, planspiralen Gehäuses.
@ | Cephalopoda, allgemein |
@am | »Ammoniten« (Unterklasse Ammonoidea) |
@be | »Belemniten« (Unterklasse Coleoidea | Ordnung Belemnitida) |
@na | »Nautiliden« (Unterklasse Nautiloidea) |
Bestandteil | Beschreibung | Anmerkung |
0 | Brut | |
1 | Aptychen | bei Ammonoideen |
2 | Rostrum | bei Belemniten |
3 | Phragmokon | |
4 | Onychiten | Armhäkchen |
Beispiele:
Das Kleiner-Als-Zeichen < entspricht den häufig Zuckertüten-förmigen Fossilien dieser ausgestorbenen Tiergruppe.
< | Cricoconarida, allgemein |
<tt | Tentaculitida (Tentakuliten i.e.S.) |
<dy | Dacryoconarida |
Das €-Zeichen entspricht der »Vielfüßigkeit« von Gliedertieren.
€tr | »Trilobiten« (Trilobitomorpha) |
€ar | Spinnentiere (Arachnomorpha) |
€hx | Insekten (Hexapoda) |
€ma | Höhere Krebse (Unterstamm Crustacea | Klasse Malacostraca) |
€os | »Ostrakoden« (Unterstamm Crustacea | Klasse Ostracoda) |
€co | »Conchostraken« (polyphyletisch!) (Unterstamm Crustacea | Klasse Branchiopoda) |
Die Krebstiere werden hier aufgegliedert, gleichwohl man sie als €cr zusammenfassen könnte.
Ziffer | Beschreibung | Anmerkung |
0 | Flügel, Flügeldecke (Elytre) | bei Insekten |
1 | Schalenhälfte | bei Ostrakoden oder Conchostraken |
2 | Schalenbruchstück, einzelne Scheren | bei höheren Krebsen |
Beispiele:
& | Bryozoa, allgemein |
Die geschlossene, geschweifte Klammer entspricht der oftmals geschwungenen Oberkante eines Brachiopoden-Gehäuses.
} | Brachiopoden, allgemein |
Das Plus soll an die Pentamerie der Echinodermen erinnern.
(PS: Echinodermen sind embryonal bilateral angelegt, und entwickeln ontogenetisch eine sekundäre Pentamerie bzw. pentamere Radialsymmetrie, tw. auch eine sekundäre Bilateralsymmetrie.)
+ | Echinodermata, allgemein |
+as | Seesterne ("Unterstamm" Asterozoa) |
+op | Schlangensterne ("Unterstamm" Asterozoa | Ophiuroidea) |
+ec | Seeigel ("Unterstamm" Echinozoa | Klasse Echinoidea) |
+ho | Seegurken ("Unterstamm Echinozoa" | Klasse Holothuroidea) |
+cr | Seelilien-artige ("Unterstamm" Crinozoa) |
Ziffer | Beschreibung | Anmerkung |
0 | "Trochiten" und "Asteroiten" (Stielglieder von Seelilien) | bei Seelilien |
1 | Ossikel in Form von Stacheln oder Keulen | bei Seeigeln |
2 | Ossikel in Form von Ambulakral-Platten mit Perforation sowie Interambulakral-Platten mit Stachelwarzen | bei Seeigeln |
3 | Ossikel in Form von Ankern und Ankerplatten | bei Seegurken |
4 | Radial- und Interradial-Elemente des Schlundringes (früher als aberrante Wirbel o.ä. bezeichnet) sowie Ossikel in Form von Häkchen, Ösen, Rädchen, Siebplatten | bei Seegurken |
5 | Ossikel in Form von Wirbeln oder Armgliedern | bei Schlangensternen |
Beispiele:
Die sog. Pipe | folgt der Nachzeichnung der häufig erkennbaren Geradgestrecktheit von verzweigten oder unverzweigten Formen.
| | Graptolithida, allgemein |
Das Alinea hat eine robuste Form, könnte also als Grundskelett von Wirbeltieren gesehen werden.
¶ | Wirbeltierreste, allgemein |
¶pi | Fische oder Fischverwandte (Pisces) |
¶ct | Conodonten (da nur als Zähne erhalten → ¶ct1/¶ct2) |
¶rp | Reptilien (Reptilia) |
¶av | Vögel (Aves) |
¶ma | Säugetiere (Mammalia) |
Über die polyphyletischen Probleme dieser einfachen, heute überholten Taxonomie braucht man hier kein Wort verlieren. Beispielsweise ließen sich »Dinosaurier« nicht einfach bei »Reptilien« einordnen, denn es handelt sich um eine polyphyletische Gruppierung (Archosaurier: mit den Ordnungen Saurischia und Ornithischia, inkl. der heutigen Vögel!)
Jeder Anwender muß sich nach den gegebenen Regeln selbst ein Schema erarbeiten, das zu seinen Vorstellungen paßt.
Ziffer | Beschreibung | Anmerkung |
0 | Einzelzähne | |
1 | Zahnreihen, -platten, -spiralen | |
2 | Knorpel/Knochen (Kieferleiste, Kopfschild, Humerus, Wirbel etc.) | |
3 | Schuppen | |
4 | Federn | |
5 | Flossenstacheln | nur bei Fischen |
6 | Otolithen, auch Statolithen |
Beispiele:
Für Wurmartige (Vermes) wird das Pfund-Zeichen £ gebraucht, da es den oft gewundenen Ausscheidungen und Körperform von Würmern ähnelt. Natürlich handelt es sich um eine polyphyletische Arbeitsbezeichnung.
£ | Vermes, allgemein |
Ziffer | Beschreibung | Anmerkung |
0 | Scolecodonten | Kiefer von anneliden Würmern |
Die Tilde ähnelt einer wurmartigen Spur. Die Angabe ist unabhängig davon, welcher Organismus die Spur erzeugt hat (Wurmspur oder Krebs, Dinosaurier oder Mensch).
~ | Ichnofossilien, allgemein |
~cu | Cubichnia (Laufspuren) |
~do | Domichnia (Grabspuren) |
~fo | Fodinichnia (Fraßspuren) |
~pa | Pascichnia (Weidespuren) |
~re | Repichnia (Bewegungsspuren) |
~ko | Koprolithen |
Hinsichtlich des Zustands wäre zu überlegen, ob man mit weiteren griechischen Buchstaben nicht die Art des Abdrucks genauer beschreibt, beispielsweise »underprint«, d.h. Abdruck, der durch Auflast in tieferen Sedimentschichten hinterlegt wurde.
Die Angabe mehrerer Fossilgruppen sollte, um vergleichbar zu sein, in einer Reihenfolge sortiert werden, die dem aufsteigenden Komplexitätsgrad des Organismus entspricht. Natürlich soll damit kein Organismus als höherwertig als ein anderer gewertet werden.
Eine mögliche Reihenfolge wäre:
Protisten – Pflanzen – Porifera – Cnidaria – Mollusca – Arthropoda – Brachiopoda – Echinodermata – Branchiotremata – Chordata – Ichnofossilien
Beispielsweise:
*fo, \, $, €os1, +ec2, ¶pi3